Um die Menschen zu schützen, mit denen ich so eng in Kontakt war und die mir ihre teils sehr persönlichen Geschichten erzählten, verzichte ich auf die Veröffentlichung von Fotos von ihnen. Eine Geschichte berührte mich jedoch besonders, sodass ich sie hier teilen möchte. Es ist die Geschichte einer jungen Afghanin, selbst eine Modedesignerin! Sie flüchtete aus Afghanistan, da ihre Eltern sie als fünfte Frau mit einem 30 Jahre älteren Mann verheiratet hatten. Verliebt in einen Jungen ihres Alters, flüchtete sie in den Iran und schaffte es, dort eine Ausbildung in Modedesign erfolgreich abzuschließen und anschließend für Film und Fernsehen zu entwerfen. Als ihre Familie sie allerdings dort aufspürte, musste sie sofort untertauchen, da ihr sonst die Steinigung wegen Ehebruchs gedroht hätte.
Mir wurde schnell klar, dass kaum jemand, den*die ich im Lager Moria traf, noch seine*ihre ursprüngliche Kleidung trug. Auf der Route (von Afghanistan, Syrien, Nordafrika… bis nach Moria) hatte es mehrere Stationen gegeben, an denen Kleider ausgetauscht worden waren. Die Flüchtenden, die zu der Zeit von Frontex oder verschiedenen NGOs geborgen wurden und auf Lesbos ankamen, gaben im Erstaufnahmelager in der Regel ihre nassen Kleider ab und wurden dort sofort mit trockenen versorgt. Genauer: mit trockenen Kleidern, die zuvor von anderen Geflüchteten dort abgegeben worden waren und, nun gewaschen, den Neuankömmlingen zur Verfügung gestellt wurden. Ein ausgefeiltes System, das dazu beiträgt, dass Menschen immer wieder in eine neue Kleideridentität schlüpfen.
Irene Schüller, Initiatorin des Projektes