Irenes Projekt fühlte sich für mich vom ersten Moment komplett anders und komplett richtig an.
Alles, was ich bisher an Jobs gemacht hatte, war nicht vergleichbar – und Alles, was ich bisher beruflich, künstlerisch und privat erlebt hatte, war anwendbar.
Die Fluchtgeschichten meiner Familie im zweiten Weltkrieg aus der Gegend bei Odessa bildeten eine gute Basis für die ganz neue, kostbare Erfahrung in der künstlerischen Herangehensweise zur Verarbeitung des Themas Migration und Integration. Schon immer zolle ich Geflüchteten meinen höchsten Respekt, denn es gibt in meinen Augen keinen mutigeren Schritt, als alles Gewohnte und Geliebte um der Freiheit Willen zu verlassen. Ein Kleid-Kunst-Werk mit der Tragik zum Flucht-Thema aus den prägenden Erzählungen meiner Kindheit entstehen zu lassen, war sicher eine ideale Motivation am Anfang – aber keine Notwendigkeit bei Umsetzung der Vielzahl von Emotionen unserer Teilnehmerinnen. Kernworte, die sich bei unserer Arbeit herauskristallisierten fanden den Weg auf ein Shirt – viele weitere Ideen könnten noch in eine Umsetzung kommen. Irgendwann.
Hier in Düsseldorf waren es die besonderen Menschen, die sofort für Irenes besondere Projekt-Idee zu begeistern waren. Mein Kollege und Freund Uwe Schimera, der seine Unterstützung gleich beim ersten Austausch versprach und den ganzen Sommer verlässlich, emphatisch und kreativ zur Stelle war. Durch ihn, sein Know-How und seine Stoffe haben unsere Ergebnisse und Erlebnisse eine besondere Qualität erhalten.
Sofia Sydow, unsere Kunst Therapeutin mit umfangreichem Wissen auf menschlicher, künstlerischer, beruflicher und internationaler Ebene, erfuhr und verarbeitete mit uns gemeinsam die emotionale Tiefe und Unterschiedlichkeit der erzählten Fluchtgeschichten unserer Teilnehmerinnen aus 13 Ländern.
Elke Wisse vom WELCOME POINT der DIAKONIE DÜSSELDORF war mit der Zusage der Räumlichkeiten ebenfalls vom ersten Moment an eine tragende Säule der Realisierung. Mit all ihren Erfahrungen, Kontakten und ihrer menschlicher Nähe zu Geflüchteten ebnete sie uns beruflich und persönlich engagiert als Leiterin des Standorts sehr viele Wege.
Zur Einführung in die Workshops hatten wir sieben Dekaden pure Weiblichkeit im Alter von 12 bis 73 Jahren im Raum. Die Stimmung um das Thema Flucht und Migration erreichte uns alle gleichermaßen intensiv im Austausch von gemeinsamem Lachen bis befreiendem Weinen. Irene hat Emotion in den Fokus ihres Projekts gesetzt – und so haben wir die Emotion um das individuell Erlebte heraus gearbeitet und in einen Karton geschrieben, der wie ein Tagebuch oder eine Schatzkiste jederzeit geöffnet und verschlossen werden konnte. Unsere gemeinsame, kreative Arbeit fing mit bunten Farben, heimatlichen Flaggen, unterschiedlichsten Muttersprachen und Geschichten an – wir teilten sehr schnell ein emotionales Miteinander ohne uns näher zu kennen … und trafen uns nach kürzester Zeit in freundschaftlicher Verbundenheit beim Austausch der Text- und Kleider Ideen und bei der großen Auswahl an Stoffen aus Uwes Atelierbeständen. Die erlebten Geschichten der Frauen kannten keine Grenzen in den Gesprächen – obwohl alles Erlebte an Grenzen stieß und grenzwertig war.
Der magische Flow dieser ersten Veranstaltung trug uns durch alle Hürden der Umsetzung in den nächsten Wochen. Die sensibel und offen geteilte Emotion der ersten Begegnung ließ gelegentlich aufkommende Konflikte schon vor dem Entstehen wieder verstummen. Es war eine freundschaftlich-friedliche Stimmung in gegenseitigem Verständnis. Wo sonst in vergleichbaren Situationen kleine Missverständnisse schnell die Zusammenarbeit beenden würden, fanden hier im vertrauensvollen Miteinander neue Freundschaften einen Anfang.
In wechselseitigem Vertrauen vermischten sich weibliche Inspirationen und textiles, westliches Couture Material mit arabischen, persischen, russischen, bolivianischen, aserbaidschanischen, kasachischen, irakischen, kurdischen, marokkanischen, algerischen, syrischen, ukrainischen und deutschen Gefühlen von Traurigkeit, Hoffnung, Würde, Angst und Freiheit. Die unterschiedlichen Texturen, Farben und Muster transformierten all die unterschiedlichen Empfindungen in neue Vorstellungen und Verarbeitung von Kleidung.
Ideen von Entfesselung und Einengung, gezeichnete Protestworte und Sätze zur Veränderung und Vergangenheit. Umsetzung von Tradition und Dystopie, von erdrückendem Zwang bis sagenhafter Schlichtheit, von Schutz bis Hoffnung, von farbenfroher Heiterkeit bis düsterer Angst oder simpler Schönheit … Alle Gefühle konnten frei ausgedrückt in eine persönliche Umsetzung finden.
Für uns als Begleiter:innen der Workshops war es eine wertvolle Erfahrung, die echte Stärkung mancher Frauen zu erleben, die sie durch die Gemeinschaft und vertrauensvolle Zusammenarbeit erfahren haben.
Birgit Schwitalla